Stehende Ovationen im Kur- und Stadttheater

Mehr ging nicht: Mit 500 Besucher war das Kur- und Stadttheater bis auf den letzten Platz gefüllt, als am vergangenen Sonntag Joachim Gauck auf Einladung des CDU-Stadtverbandes in der Badestadt weilte. Die Zuhörer erlebten einen 70jährigen ehemaligen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, einen ehemaligen Pfarrer und einen ehemaligen Bundespräsidentenkandidaten, dessen Leidenschaft für Demokratie und Freiheit ungebrochen ist. Mit mahnenden Worten zog Gauck Bilanz aus 20 Jahren Deutsche Einheit und forderte auf, den „freien Raum der Gesellschaft mit sich selber zu besetzen“ und „vom Zuschauer zum Aktiven zu werden.“

Die Mündigkeit des Bürgers, die in den 40 Jahren DDR-Diktatur nicht vorhanden gewesen sei, sei ein hohes Gut. Diese Freiheit, die Möglichkeit, selber Einfluss zu nehmen und Mitzugestalten sei heute aber nach wie vor in Gefahr. „Wer sagt „ich gehe erst wählen, wenn alles ok ist“, gibt als Bürger seine Gestaltungsfreiheit aus der Hand“, so Joachim Gauck. Beginnend beim Engagement in der Grundschule vom Klassensprecher über die Schülerzeitung bis hinein ins Studium sei die Freiheit der Einmischung eines der wichtigsten Güter.

Die teilweise Verklärung der DDR-Vergangenheit, an deren Aufarbeitung sich Gauck nach wie vor als Vorsitzender der Stiftung „Gegen das Vergessen“ aktiv beteiligt, sehe weniger als politische Gefahr, denn als natürliche menschliche Reaktion: „Ein Fünftel davon ist vielleicht politische Nostalgie – vier Fünftel sind persönliche Nostalgie. Denn wie nach dem Krieg soll Erinnern ja auch nicht weh tun“. Nur Wirrköpfe wünschten sich ernsthaft die DDR zurück, viele fühlten sich einfach noch heimatlos und wählten entsprechend das, was sie kennen. „Bis sich das innere Gefühl, die Haltungen, die Mentalität gewandelt hat, wie wir das von einer Demokratie erwartet haben, wird es noch dauern. Deshalb ist es schwierig, von einer „inneren Einheit“ zu sprechen.“ Aber das sei genau wie im Fußball: „Es hilft nur rausgehen und üben. Die Schönheit einer Bürgerexistenz erfährt nur der, der rausgeht und aktiv teilnimmt.“

Mit Wehmut und Stolz erinnerte sich Gauck an seine erste Wahl: „Am 18. März 1990 habe ich zum ersten Mal gewählt“. Und er schämte sich „der Tränen eines damals 50jährigen“ nicht, die ihn bei diesem Akt der Demokratie überkamen. Man müsse sich an die Verhältnisse damals erinnern, wo es keine Verwaltungsgerichte gab und man als höchste Form des Protestes „großzügigerweise eine Eingabe machen durfte“. Das schönste Geschenk der deutschen Einheit sei für ihn auch die Entstehungsgeschichte, „als Millionen mit dem Satz „Wir sind das Volk“ auf die Straße gingen. Und ich war damals schon fast kurz davor zu glauben, das kriegen wir nicht hin. Zu oft war ich allein oder in der Minderheit gewesen.“ Die friedliche, unblutige Revolution, gepaart mit einer in der deutschen Geschichte einmalig langen Periode des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands sei ein großes Geschenk, für das man dankbar sein müsse. „Im Oktober ist im doppelten Sinne Erntedank – von Ost und West gemeinsam.“ Ein Satz, für den allein Joachim Gauck schon die anschließenden stehenden Ovationen der mehr als 500 Besucher im Salzufler Kur- und Stadttheater verdient hatte.

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