Machen wir uns nichts vor – es gibt ihn. Und in Bad Salzuflen ist er unter uns: Der Kurschatten.

Seitdem es Bade- und Kurorte gibt, ist auch das Phantom, das häufig (aber längst nicht immer) nach dem Kuraufenthalt wieder verschwindet, eine häufige Begleiterscheinung mit mehr oder weniger stark ausgeprägter Nebenwirkung. Doch wo hält sich der Kurschatten auf, wo lauert er auf seine Beute und wo wagt er sich für kurze Zeit ans Licht? Wir haben uns auf die detektivische Suche gemacht.

Unsere Recherche führte uns zunächst in die Wenkenstraße, in das mittlerweile sogar aus dem Fernsehen bekannte Café Schulte. Es ist Nachmittag und das einzige, was uns neben der außerordentlich gemütlichen Kaffeekranzatmosphäre auffällt, ist die ungewöhnlich große Vielfalt sündhaft leckerer Torten. Alle sind eine Versuchung wert, aber mit Kurschatten nur schlecht in Verbindung zu bringen. Wir müssen abends wiederkommen. „Das könnt ihr gern tun“, erlaubt uns Jürgen Schulte, der Senior und Chef des Café- und Pensionsbetriebes, „doch Kurschatten, werdet ihr hier auch am Abend nicht finden!“ Wir wollen uns selbst überzeugen und kommen gegen 21 Uhr wieder.

Mister 100.000-Volt bei der Arbeit: Jürgen Schulte weiß, was (Kur-)Gäste mögen.

Mit offenem Mund stehen wir wieder vor der Kuchentheke, doch über diese werden nun statt Sacher-Torte gekühlte, flüssige Sachen gereicht. Wieder steht Jürgen Schulte dahinter, aber eigentlich steht er gar nich

t. Tanzend, mit dem Mikrofon in der einen Hand und der anderen am Mischpult sorgt er für eine Stimmung im rappelvollen Saal, die sich an manchen Tagen selbst der Alpenmax wünschen dürfte. Stehen wir wirklich in dem Raum, in dem noch vor fünf Stunden die Menschen mit abgespreiztem Finger die Teelöffel im Milchkaffee rührten? Wer hier tanzt, schunkelt und mitsingt, ist zwischen 30 und 60, gut gelaunt und zumindest für einige Stunden körperlich in erstaunlich guter Verfassung. „Wir machen unsere Ü30-Parties viermal pro Woche“, hatte uns Jürgen bereits am Nachmittag erklärt, „und zwar für die Menschen, die angeschlagen nach Bad Salzuflen kommen und bei uns ihre gesundheitlichen Probleme vergessen sollen.“ Jetzt, wo wir es sehen, fragen wir uns, wo dieser Mann selbst die Kondition herholt. Ein Erklärungsversuch: Er selbst

hat eine

n Riesenspaß an der Sache, freut sich mit seinen Gästen (Schulte: „Ich begrüße jeden einzelnen persönlich.“) und hat ein starkes Team mit der kompletten Familie hinter sich. Tatsächlich sehen wir unter den Gästen nichts, was sich als Kurschattengewächs erkennen ließe. Nur Party-People, darunter viele Einheimische, die sich dem Disco-Fox und der unvergleichlichen Stimmung ergeben. Suchen wir also weiter…

Dirk Bollhöfer und Carlotta Meyer mit Helga Bollhöfer bei der Stadtgespräch-Eröffnung

Zum Beispiel an der Salze. In der Unteren Mühlenstraße treffen wir am nächsten Tag einen weiteren Salzuflen-Kenner: Dirk Bollhöfer.  Bolli hat fast 2 Jahre lang in der Giraffe gewirkt und damit dem Nachtleben der Stadt einen kräftigeren Pulsschlag verliehen. Doch auf unsere Frage, ob er aus der Erinnerung an diese Zeit das typische Bild eines Kurschattens zeichnen könne, winkt Bolli ab: „Wenn in der Giraffe die Post abging, mussten die Kurgäste doch schon längst auf ihren Zimmern sein!“ Mit seinem eigenen Lokal, dem Stadtgespräch, das er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Carlotta Meyer am 1. Oktober eröffnet hat, verfolgt Dirk Bollhöfer zudem ein umfassenderes Konzept. Mit kleiner Speisekarte, individuell zubereiteten Gerichten und Frühstücksangeboten (sonntags ab 9 Uhr) zielt dieses  nicht schwerpunktmäßig auf das Kurpublikum, wenngleich dieses bei ihm natürlich ebenso herzlich willkommen ist wie alle anderen Gäste. Wieder nichts mit Kurschatten.

Ermittlungshelfer und Weinkenner: Dennis Edwards vom Cabernet.

Schon reichlich demotiviert bevorzugen wir nun kurze Wege und gehen ein Haus weiter in den gemütlichen Biergarten des Vinothek-Cafés Cabernet von Dennis Edwards. „Wie sieht der typische Kurschatten aus?“ fragen wir ihn auf den Kopf zu. „Weiß ich auch nicht“, kommt es genauso klar wieder zurück. „Ich erkenne zwar Kurgäste – im Auftreten in Grüppchen, beim vorsichtigen erstmaligen Eintreten und vor allem beim hektischen Bezahlen um 22.15 Uhr – doch wer davon schattig ist und wer nicht, kann ich nicht sagen. Interessiert mich auch nicht“, fasst Edwards das zusammen, was er uns zu diesem Thema sagen kann oder will.

Wir merken, dass wir nicht weiterkommen und nehmen die Diskretion der Salzufler Wirte zum Anlass, unsere Suche nach dem Kurschatten an dieser Stelle abzubrechen. Endlich ist es mal wieder sonnig in der Stadt. Wir beschließen, den Tag mit einem Milchkaffee im Eisstübchen zu adeln und halten es mit Schiller. „Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht, so lang er die Schatten zu haschen sucht.“ Soll er doch bleiben, wo er ist…

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