Voehls Welt Mai 2011
Von Uwe Voehl. Illustration von Ullrich Tasche

Der Sommer kommt immer so plötzlich. Kaum ist er da, verwandeln sich auch Bad Salzuflens Straßen zum modischen Laufsteg – Männer wie Frauen, jung und alt, hübsch und hässlich, alle zeigen sie sich von der Sonnenseite.

Nur Jörgi weiß jedes Mal nicht, was er anziehen soll … Wir sitzen draußen vorm Eis-Stübchen und schauen insbesondere den Frauen zu, die vorüberflanieren. Hinter mir am Tisch höre ich zwei ältere Damen über ein bildschönes Bad-Beauty-Girl lästern: „Guck mal die. Mit den Stilettos könnte sie einen glatt aufspießen.“ „Und für die Bluse braucht sie auch nen Waffenschein. Unglaublich!“ „Das hört sich an, als ob die beiden einen Krimi gucken“, wundert sich Jörgi. „Die Lange Straße als Tatort, geil! „Mode und Krimis haben eine ganze Menge gemeinsam“, doziere ich.

„Nicht zufällig ließ Hitchcock seine Aktricen vorzugsweise von Chanel einkleiden. Oder denk an Schirm, Charme und Melone: Dank der hauteng gekleideten Emma Peel wurde da jedes Mal schärfer geschossen als in allen anderen Krimiserien. In jeder Staffel von Germany’s Next Flop-Model geht’s intriganter zur Sache als im spannendsten TATORT. Allein Heidi Klum versprüht mehr Gift als jede Mörderspinne. Und ein Buch über die Guccis hieß nicht umsonst: Mode, Mord und Business. Dressed to kill war schon immer die Devise.“

Nun kommt sogar Jörgi ins Philosophieren: „Mord ist Sünde, aber nicht die Mode, die ist höchstens sündhaft teuer. Die allererste kriminelle Tat der Menschheitsgeschichte fand übrigens ganz ohne Mode, ja, sogar völlig ohne Kleider statt: Eva hieß die Täterin.“

„Schau dir die an!“, wird unterdessen hinter mir weitergelästert. „Das blonde Gift hat sich ja mordsmäßig aufgestylt. Will wohl jemanden erlegen damit.“ Die nette Blondine, die soeben vorüberflaniert, hat den letzten Satz mitbekommen. Jetzt guckt sie, als wollte sie jemanden erdolchen. „Wenn Blicke töten könnten, bräuchte die Unterwelt keine Pistolen mehr“, sagt Jörgi. Scharf geschossen wird auch weiterhin von den beiden Damen: „Jetzt guck mal die! Die Rocklänge ist doch kriminell!“ „Gut, dass wir das nicht mehr nötig haben, was Hilde? Komm, wir bestellen uns noch ein schickes Sahnetörtchen.“ Jörgi hat genug. „Ich geh dann mal“, verabschiedet er sich. Hinter mir höre ich zwei empörte Schreie. Jörgi dreht sich noch mal um, ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. Er zwinkert mir zu.

„Siehst du DEN?“, kichert eine der Lästerschwestern. „Der trägt tatsächlich noch ne echte Krimibürste.“ „Genau wie der Schimanski.“ Jörgi hält es für angebracht, sich endgültig zu verabschieden. Nackt, wie Gott ihn schuf. Ich sagte ja: Nur Jörgi weiß jedes Mal nicht, was er anziehen soll …

(*Anmerkung: Uwe Voehl kommt frisch aus Mönchengladbach von der CRIMINALE – dem größten deutschsprachigen Krimifestival)

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