Befährt man Schötmars wuselige Schloßstrasse in Richtung Marktplatz, hat man häufig genug damit zu tun, darauf aufzupassen, dass man nicht versehentlich einen Fußgänger auf die Motorhaube nimmt. Denn gern werden hier mal die Bürgersteigseiten gewechselt, ohne sich umzuschauen, geschweige denn, den Zebrastreifen zu nutzen. Was dem Autofahrer bei aller Aufmerksamkeit entgeht, ist das bemerkenswerte Fachwerkgebäude in der Schloßstraße 29.

Es ist über 420 Jahre alt und damit das älteste erhaltene Haus Schötmars. Der „Veldtscherer“ Johan Holman hat es 1588 als giebelständigen Dreiständerbau errichten lassen. Veldtscherer (oder Feldschere) waren ungelernte Land- oder Militärärzte, die amputierten, einrenkten, Kugeln herauszogen und Wunden ausbrannten. Nicht selten waren sie aber auch für das Rasieren der Offiziere zuständig. Da sie meistens von Barbieren und Badern ausgebildet wurden, dürfte ihnen das nicht schwer gefallen sein. Nach rund 30 Jahren ließen die Holmans das Haus wesentlich ausbauen. Eine Flettküche (eine offene Wohnküche) und ein unterkellerter Saal kamen hinzu.

Wenige Jahre zuvor hatte Felix Holman das Krugprivileg erhalten und konnte nun Gäste bewirten – daher wohl der erhöhte Platzbedarf. Auch die bis heute noch erhaltene massive und sehr seltene Einbaumwendeltreppe, die vom Erd- ins Obergeschoss führt, wird um 1620 hinzugekommen sein. 1638 ging der Ausbau weiter. Zwei Utluchten (Erker mit Bodenhaftung) vergrößerten die Innen- und Außendimensionen des Holman-Hauses.

Das 18. Jahrhundert hat ebenfalls seine Spuren im und am Bauwerk hinterlassen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts begann eine große Renovierungsphase, die auch die Raumnutzung veränderte. Nach Jahren, Generationen und Verheiratungen befand sich ab den 1820er-Jahren eine Leinenfärberei in dem Gebäude an der Langen Straße (ursprünglicher Name der Schloßstraße). Das Haus blieb bis 1885 im Besitz der Familie Kasemeier, wechselte dann allerdings in den von Hugo Knollmann, der das Gebäude mit seiner „Dampf-Schönfärberei, Druckerei und chemischen Waschanstalt“ weit ins 20. Jahrhundert führte. Fast genauso alt wie das Haus von Johan Holman ist übrigens das nicht weniger schiefe Nachbargebäude, das schon als Uhrmacher-Werkstatt, Schuhmacherei und Scheune genutzt wurde.

Seit der Grundsanierung im Jahr 2003 erstrahlen beide Gebäude als Ensemble in neuer Pracht. Viele Wandmalereien, das wertvolle Traufgassenpflaster und andere Details sind während der dreijährigen Bauzeit wiederentdeckt und -belebt worden. Zudem wurden beide Fachwerkschätzchen einer sinnvollen neuen Nutzung zugeführt. Als „Begegnungsstätte Am Kirchplatz 1 c“ sind zum attraktiven Treff- und Veranstaltungsort verschiedener Gruppen sowie zur Tagungsstätte mit musealem Charakter entwickelt worden. Und seit 2007 werden hier, nur einen Steinwurf von der Kilianskirche entfernt, sogar standesamtliche Trauungen durchgeführt.

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Kommentare

Die Renovierung ist wirklich gut gelungen. Ich durfte schon während der Bauphase mal hinein schauen.
Inzwischen habe ich auch schon eine Konfirmationsfeier in dem Gebäude mitgemacht. Dazu sind die Räume wirklich gut geeignet.

Auf der Karte findet man das hier:

http://www.openstreetmap.org/?lat=52.071559&lon=8.758016&zoom=18&layers=M

http://www.openstreetmap.org/browse/way/104864666

Wie man darin sieht, ist das Haus nicht nur von der Schloßstraße sondern auch vom Kirchplatz aus erreichbar.


Schöner Artikel, danke.


… ein sehr schöner Artikel über ein wirklich schönes Haus. Wer es für private oder betriebliche Feiern nutzen möchte, kann sich gern melden:
http://evangelische-haeuser.evangelisch.de/haus/begegnungsstaette-schoetmar
Am 1.April wird um 11.15 Uhr nach dem Gottesdienst eine Ausstellung von Bildern zugunsten der Hospizarbeit eröffnet …