Weihnachtsmarkt
Von Uwe Voehl. Illustriert von Ulrich Tasche.

Treffpunkt Glühweinstand. Kaum ein Durchkommen zur Theke. Dafür entdecke ich Hüsni. Unterm Arm trägt er so eine komische Blechkanne.

„Die hat Kunde im Taxi liegenlassen.”
Beschreibung: Turban, buntes Gewand, langer weißer Bart.
„Klingt bis auf den Bart nicht nach dem Weihnachtsmann”, sage ich.
Nein, aber dafür er hat so gesprochen. Ist Wunschkanne.”
„Wunschkanne?”
„Ja, hat behauptet, wenn du dran reibst, du kannst dir drei Sachen wünschen.”

„Und du glaubst an den Humbug?”
„Glaubst du Christkind?”
„Ehrlich gesagt, nein.”
„Und warum gehst du dann auf Weihnachtsmarkt?”
„Keine Ahnung. Weil’s alle machen?” Und ich zeige nach oben: Es schneit leicht. „Ist doch urgemütlich hier – vorausgesetzt, wir kämpfen uns jetzt endlich bis zur Theke durch!”
„Was hat Eierpunsch mit Maria und Josef zu tun? Oder Currywurst? Erzähl mir!”
„Na, weil’s immer so war!”
„Falsch! Ich zeig dir, wie früher war.”

Ehe ich ihn hindern kann, reibt er an der Kanne. Plötzlich stehen wir beide allein auf dem Salzhof. Die plärrige Musik aus den Lautsprechern ist verstummt. Es ist bitterkalt.
„Is wegen Klimaerwärmung”, erklärt Hüsni. „Früher war kälter.”
Ich verstehe. Die Kanne hat uns in die Vergangenheit gebeamt. Ich schaue mich um. Es sieht alles ziemlich öde aus. Grau in Grau. Da sehe ich das kleine Mädchen, dort, wo heute die Post steht. Ihre Nase ist bereits blaugefroren. Sie verkauft Zündhölzer.
„Was kosten die?”, frage ich aus Mitleid.
„Ein Kreuzer, mein Herr.”
Ich gebe ihr ein Zwei-Euro-Stück. Sie beißt rein, dann beginnt sie zu kreischen. Ich verstehe irgendwas wie „Betrüger!” und sehe drei riesige Gestalten auf uns zustürzen.
„Schnell Hüsni, beam uns hier weg!”

Hüsni reibt verzweifelt an der Kanne. Im nächsten Augenblick sind wir schon wieder woanders. Obwohl … Irgendwie stehen wir noch immer auf dem Salzhof. Aber er ist taghell erleuchtet, es flimmert und glitzert wie in Las Vegas. Aus unserem schönen Weihnachtsmarkt ist ein Disneyland-Alptraum geworden! Aber wenigstens schneit es nicht mehr. Ich schaue nach oben: Eine riesige Glaskuppel überdeckt den Salzhof.
„Is auch wegen Klimaerwärmung”, vermutet Hüsni. „Draußen Luft is giftig.”
Dafür ist es schön warm hier unter der Kuppel. Und nach Glühwein riecht es auch. Bei dem Typ an der Theke bestelle ich gleich mal zwei Tassen.
„Tassen?” Er guckt mich so komisch an. „Hier gibt’s nur Pillen.”
Er reicht uns zwei. Ich beiße rein und habe tatsächlich Glühweingeschmack im Mund. Wenigstens wie man sich den in der Zukunft vorstellt.
„Was hat das alles mit Weihnachtsmarkt zu tun?”, fragt Hüsni und deutet in die Runde.
„Hast recht, beam uns hier weg!”

Hüsni reibt an seiner Kanne, und wir stehen wieder auf unserem geliebten Weihnachtsmarkt 2014. Vor Freude fallen wir uns in die Arme.
„Guck mal, wie glücklich die beiden sind!”, höre ich ein junges Mädchen zu ihrer Mutter sagen.
„Ja, wir haben es aber auch schön hier! Und sogar noch einen Wunsch frei!”
„Wir wär’s endlich mit einem richtig leckeren Glühwein!”, schlage ich vor.
Prost!

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