Novemberblues
Novemberblues. Illustration von Ulrich Tasche

Erst kein Sommer und dann noch dieser Herbst! Der Novemberblues geht um. Er erfasst dich hinterrücks, wenn du aus dem Haus gehst, die kahlen Bäume siehst, die dich an abgenagte Hühnergerippe erinnern, und du nicht weißt, ob du abends wieder zurückkehren wirst.

Der Novemberblues hat seine Skurrilitäten. Wildfremde Menschen sprechen dich an und sagen tiefgründige Sätze wie „Melancholie ist wie ein Stein, der ins Wasser fällt und Kreise zieht!“ Du möchtest ihnen helfen, aber dann wandern sie schon weiter und belästigen den nächsten Passanten: „Im November beginnt die Gratwanderung deiner Seele!“

Selbst bei Plocken-Otto oder bei Curry an der B 239 will die Wurst einem nicht mehr ganz so gut schmecken, weil der eisige Wind der Vergänglichkeit einen darüber nachsinnen lässt, ob man nicht doch zum Vegetarier werden soll. Der Novemberblues hat auch seine eigenen Soundtracks. Die Frauen, die ich kenne, schwärmen plötzlich für Philipp Poisel. Der nuschelt von Seerosenteichen, Eskimomützen und Kuscheln. „Wie soll ein Mensch das ertragen, dich alle Tage zu sehen?“ Die triste Stimmung.

Ja, und tatsächlich: Selbst den härtesten Macho befällt der Blues, und er nimmt seine Freundin einfach nur in den Arm (wenn keiner zusieht). Singles haben es da schwerer: Die kennen das ganze Jahr diese Stimmung. Besonders im Frühjahr, wenn die Pärchen in der Öffentlichkeit knutschen, ist es schlimm. Im Herbst können sie sich wenigstens in ihrer Wohnung verbarrikadieren, Poisel hören, „Kuschelbäder“ nehmen und träumen, dass jemand ihre Füße massiert.

Ich frag mal in die Runde. Fee, die ewige Optimistin, strahlt mich an. „Wenn mich der Blues packt, vertreibe ich ihn mit dem prallen Leben: Shopping, Kino, gute Laune!“
„Aber nicht in Bad Salzuflen!“ Günther hat der Novemberblues voll im Griff. Der steht hinter ihm und hat besitzergreifend seinen Arm um seine Schultern gelegt. „Da erscheint mit „Psychedelic Pill“ die beste Neil-Young-Platte seit zwanzig Jahren und nirgendwo ist das Teil in Bad Salzuflen käuflich zu erwerben! So weit zum Shopping!“
„Und das Kino kannst dir auch an die Backe schmieren“, sagt Werner. „Digital oder nicht: Ich will für den neuen Bond nicht bis nach Bielefeld fahren!“
„Gut, dass du ihn noch nicht gesehen hast. Selbst James Bond ist nicht mehr der Alte. Er ist plötzlich so nachdenklich geworden“, tröstet ihn Günther.
„Auch 007 hat den Novemberblues“, stelle ich fest. „Aber zumindest Kuscheln scheint zu helfen. Übrigens: Selbst die erste und vierte Kompanie der Salzufler Schützen suchen beim Nächsten die menschliche Wärme.“
„So würde das keiner aussprechen!“ Werner ist auch Schütze. „Man spricht markig davon, dass die jungen Hüpfer der Vierten von den alten Hasen der Ersten noch viel lernen können.“ „Womit wir wieder beim Kuscheln wären“, sagt Fee. Ich überlege: „Ich hätte da noch einige Ideen, wo Kuscheln mehr Erträge bringen würde. Zum Beispiel bei der Stadtverwaltung.“
„Ach hör auf mit deiner Politik, die zieht einen ja ganz runter. Was ist mit der guten Laune? Dafür seid nur ihr selbst verantwortlich!“, sagt Fee. Ihr braucht ja nicht gleich anfangen, Karnevalsschlager zu singen … Aber was ist mit einer romantischen Pferdekutschfahrt, anschließendem Candlelight-Dinner zu Hause und Kuscheln vorm Kamin?“ Die Tür schwingt auf und Hüsni kommt hereingestürzt. „Ey, was sitzt ihr da wie Jammerlappen! Draußen bauen sie die ersten Glühweinstände auf!“ Alle stürzen nach draußen! Denn nie ist der Novemberblues schöner, als wenn man ihn mit dem ersten Glühwein des Jahres zur Hölle schicken kann!

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