Riefenstahl
Regie und Buch: Andres Veiel
115 Minuten
Dokumentation
Majestic (Universal Pictures)


Riefenstahl erhält von uns

4 von 5 Sternen

Leni Riefenstahl. Die große Künstlerin. Die Frau, die nur Filme gemacht hat – und von nichts, rein gar nichts wusste. Die trotzdem viele Schmähungen ertragen musste. So zumindest ihre Version der eigenen Lebensgeschichte.

Filmemacher Andres Veiel (Ökozid, Beuys) nimmt sich in seiner Dokumentation Riefenstahl genau dieses fast lebenslange Spiel mit der Unschuld vor – und entlarvt es vielfach. Ein unbequemer Film, der mit kühler Präzision und ohne Kommentar zeigt, wie sich Helene Bertha Amalie „Leni“ Riefenstahl immer wieder der Verantwortung entzog, sich als Opfer darstellte – und dabei doch stets in alte Rechtfertigungsmuster zurückfiel, die ihre vermeintliche Unschuld zunehmend zweifelhaft erscheinen lassen.

Opfer? Das sagt sie!

Der Film Riefenstahl ist eine dokumentarische Darstellung eines langen Lebens – eine filmische Studie über Selbstbetrug und Geschichtsverdrehung. Eine minutiöse, oft anstrengende Untersuchung darüber, wie jemand sich gegen eine Realität stemmt, die durch Wort und Bild vielfach belegt ist.

Schon in der ersten Minute des Films wird Leni Riefenstahl mit der grundlegendsten aller Fragen konfrontiert: Ob sie die enge Beziehung zu Hitler bedauere? Eine Antwort bleibt aus.

Viel bereitwilliger spielte sie in jeder Talkshow, in jedem Interview immer wieder dieselbe Platte ab: Sie sei unschuldig, einzig an der Kunst interessiert, man habe sie missverstanden, man wolle ihr Böses. Sie, das wahre Opfer – erst der Nazis, dann der Nachwelt. In einem Interviewausschnitt aus dem Film Die Macht der Bilder: Leni Riefenstahl räumt sie immerhin ein, keine Widerstandskämpferin gewesen zu sein. Doch warum, fragt sie zurück, hätte ausgerechnet sie zu den zehn Prozent gehören sollen, die damals nicht von Hitler begeistert waren?

In einer noch bemerkenswerteren TV-Sequenz von 1976 wird sie mit der etwa gleichaltrigen Hamburgerin Elfriede Kretschmer konfrontiert, die das „Wir haben doch von nichts gewusst“-Narrativ mit wenigen, einfachen Worten zerlegt – und die Riefenstahls NS-Werke als Rattenfänger-Filme bezeichnet. Veiel unterfüttert diese Szene mit Zeitlupenaufnahmen der konsternierten Talkshow-Teilnehmenden (inklusive Riefenstahl), mit Auszügen der Fanpost, die nach der Sendung bei ihr eintrafen, sowie mit privaten Tonbändern, auf denen ihre Anhänger ihrer Empörung Luft machen: „Es war beschämend mitanzusehen, wie Frau Riefenstahl, im Stich gelassen von einem ebenso hilflosen wie grobklotzigen Talkmaster, zum Agitationsobjekt einer gehässigen Polit-Oma wurde.“

Riefenstahl gefällt das. Sie sammelt solche Zuschriften wie andere Leute Briefmarken – fein säuberlich abgeheftet, versehen mit eigenen Kommentaren und persönlichen Einordnungen.

Die Frau als Marke

Leni Riefenstahl hat ein Lebenswerk geschaffen – und zwar nicht nur als Filmemacherin, sondern vor allem als Expertin in eigener Sache. In ihren späten Jahren war sie nicht mehr nur die brillante Regisseurin von einst, sondern eine Perfektionistin der Selbstinszenierung. Eine öffentliche Figur, die ihren Markenkern kannte – und um ihren Markenwert wusste. Wutausbrüche, wenn unbequeme Fragen kamen oder ein wunder Punkt getroffen wurde. Empörung, wenn ihre Eitelkeit verletzt wurde – etwa durch die Erinnerung daran, dass Goebbels sie nie privat nach Schwanenwerder eingeladen hat.

Auch Riefenstahls Afrika-Projekt, das sie Ende der 1960er-Jahre im Sudan umsetzte, hinterlässt einen seltsamen Beigeschmack. Die Bilder, die sie als authentische Momentaufnahmen indigener Stämme verkaufen will, zeigen fein säuberlich drapierte Persil-Packungen und Kaba-Dosen ihrer Sponsoren. Sie dirigiert die Menschen, wie eine Dompteurin im Zirkus – mit Leckerchen und Gehorsam.

Keine Erinnerung!

Der große Coup des Films ist Veiels Archivarbeit. In Riefenstahls Nachlass findet er Dokumente, Briefe, Fotos, sogar private Filmaufnahmen, die eines nahelegen: Sie hat gelogen. Das Bild, das sie von sich selbst zeichnete, hält keiner Prüfung stand. Hinweise deuten darauf hin, dass sie Zeugin von Massenerschießungen war. Dass sie wusste, wer in den Lagern verschwand. Dass sie möglicherweise sogar das Verschwinden von Zwangsarbeitern auslöste, die ihr bei den Dreharbeiten im Weg standen. Natürlich kann sie sich in späteren Jahren daran nicht erinnern. Aber erinnern konnte sie sich an alles, was ihr selbst irgendwann Unrecht tat. Das hatte sie fein säuberlich abgeheftet.

Riefenstahl ist ein Film, der die bewegten und unbewegten Bilder sprechen lässt. Veiel braucht keine markigen Worte, um zu zeigen, dass Leni Riefenstahl ihr Leben lang um eine Unschuld kämpfte, die es nie gab. Ein Film über eine Frau, die nie für ihr Wirken einstand – weder vor anderen, noch vor sich selbst. Ein unbequemer Film, der in einer Zeit erscheint, in der Geschichtsverzerrung mal wieder Hochkonjunktur hat.

ta

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