
The Life of Chuck
Regie: Mike Flanagan
Mit Tom Hiddleston, Mark Hamill, Chiwetel Ejiofor
110 Minuten
Drama
Tobis Film
The Life of Chuck erhält von uns:
Angesichts von Romanen wie „Es“ oder „Shining“ gilt Stephen King nicht zu Unrecht als König der Horrorliteratur. Das führt allerdings immer wieder zu dem Missverständnis, dass alles, was er zu Papier bringt, diesem Genre zuzuordnen ist. Dass „The King of Horror“ auch ganz anders kann, bewies er etwa mit der Novelle „Chucks Leben“ – im Original: „The Life of Chuck“. Diese hat nun unter dem Originaltitel Mike Flanagan adaptiert und auch das Drehbuch zum Film verfasst. Der US-Amerikaner wurde ebenfalls – etwa durch die Netflix-Serien „Spuk in Hill House“ oder „Der Untergang des Hauses Usher“ – durch seine Arbeiten im Gruselgenre bekannt und hat mit „Doctor Sleeps Erwachen“ bereits ein Werk von Stephen King auf die große Leinwand gebracht.
Eigentlich scheint alles wie in einer apokalyptischen Horrorvision à la Kings „The Stand“ zu beginnen: Die Welt wird von multiplen Naturkatastrophen erschüttert, durch die Millionen sterben. Schließlich müssen die Menschen in den USA auch ohne Internet und die Glotze auskommen. Nicht nur der Lehrer Marty Anderson und seine Ex-Frau Felicia sind erschüttert. Geht womöglich die ganze Welt unter? Und was hat es mit den vielen rätselhaften Anzeigen und Botschaften zu tun, in denen jemand einem gewissen Charles „Chuck“ Krantz für 39 Jahre dankt?
Stephen King bediente sich in seiner Novelle eines Kunstgriffs, den Mike Flanagan in ähnlicher Form übernimmt. Erzählt wird nämlich nicht chronologisch, sondern fast schon vom Ende aus. Dementsprechend startet der Film mit dem dritten Akt und lässt darauf den zweiten und schließlich den ersten Akt folgen. Dadurch leidet allerdings die Spannung in keiner Weise. Im Gegenteil: Erst die beiden ersten Akte beantworten sukzessive diverse Fragen, die der Film aufwirft, wobei wohltuende Ambivalenzen bleiben. Zudem sind alle Teile sorgsam miteinander verknüpft. Zwischendurch biegt der Film dann ziemlich überraschend in eine ganz andere Richtung, holt – nicht zuletzt dank der sorgsam eingesetzten Musik – die Zuschauer emotional ab und verströmt in seinen besten Momenten cineastische Magie und Melancholie. Dabei sprengt „The Life of Chuck“ Genregrenzen und ist nicht nur Tragödie und Komödie, Biopic und Katastrophenstreifen, sondern auch Mystery- und Coming-of-Age-Film. Und das ist längst nicht alles, mehr soll jedoch hier nicht verraten werden – nur, dass King und Flanagan trotz lebensbejahender Message die Klippen des Kitsches glücklicherweise umschiffen.
Das wohl bekannteste Gesicht im Cast gehört Tom Hiddleston, der den meisten Kinogängern und Superhelden-Fans als Marvel-Trickster Loki bekannt sein dürfte. Hier verkörpert er nicht nur überzeugend Charles „Chuck“ Krantz, sondern beweist auch ganz ungeahnte Qualitäten. Erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist Mark „Luke Skywalker“ Hamill. Der meistert in der Rolle von Chucks Großvater die schwierige Aufgabe, die etwas textlastigen Passagen des Films so zu präsentieren, dass beim Publikum nicht zu viel Langweile aufkommt. Fans der Marvel-Streifen werden vielleicht auch Karen Gillan, die Nebula aus „Guardians of the Galaxy“, ausmachen, die für Emotionalität im ansonsten etwas zu unterkühlten ersten Drittel des Films sorgt.
Neben zahlreicher Stärken ist „The Life of Chuck“ aber nicht ohne Schwächen. Die hängen oft mit der Herausforderung zusammen, eine geschriebene Textvorlage in Bilder übersetzen zu müssen. Das gelingt Mike Flanagan nicht immer. Um dem Publikum Informationen zu vermitteln, setzt er deshalb auf einen Erzähler. Der ist leider etwas zu mitteilsam, und der Drehbuchschreiber wäre besser beraten gewesen, sich häufiger an die universelle Autoren-Devise „Show, don’t tell“ zu halten. Dementsprechend hätte Flanagan an einigen Stellen für seinen Film besser aussagekräftige Bilder gefunden, als als erklärter King-Fan die vom Autor kreierte Erzählerstimme für ein anderes Medium zu reproduzieren. Dazu kommen noch kleinere Längen und das oft, aber nicht durchgehend optimale Erzähltempo.
Mit „The Life of Chuck“ ist Mike Flanagan ein spannendes Werk mit diversen Überraschungsmomenten gelungen, das mal tragisch und mysteriös, dann wieder lebensbejahend und komisch daherkommt, aber es immer wieder schafft, das Publikum zu berühren: eine Empfehlung nicht nur für die, die Stephen Kings Werke, sondern für alle, die Filme lieben.
Ingo Gatzer