
Wie Diktatoren stürzen und wie Demokraten siegen können
Marcel Dirsus
368 Seiten
Hardcover: 28,00 €
Politik
Kiepenheuer&Witsch
Marcel Dirsus, Politikwissenschaftler mit Fokus auf internationale Sicherheit, zeigt in „Wie Diktatoren stürzen“ eindrücklich: Maos Diktum „Politische Macht wächst aus Gewehrläufen“ greift zu kurz. Alle Diktatoren scheitern irgendwann, argumentiert Dirsus – aber warum fallen sie, und was können Demokratien daraus lernen? Anhand zahlreicher Beispiele, meist vom afrikanischen Kontinent, enthüllt der Autor die Mechanismen autokratischer Herrschaft.
Vieles erscheint zunächst wenig überraschend: Diktatoren umgeben sich mit Ja-Sagern und bestechen ihre „Eliten“ mit Geld, oft finanziert durch Öl- oder Diamantenreichtum – oder durch das Ausland. Umso härter trifft es personalistische Regime, wenn die Geldmittel ausbleiben. Die Achillesferse. Die Vielzahl der Fälle, die Dirsus durchleuchtet, offenbart auffällige Muster.
Die Opposition hat es in Diktaturen deutlich schwerer als in Demokratien: Widerstand ist nicht vorgesehen, er wird meist schon im Keim erstickt, oft mit Gewalt. Bestenfalls bleiben Kirchen, Gewerkschaften oder andere nichtpolitische, unverdächtige Gruppierungen als Zufluchtsorte – um sich zu sammeln, zu koordinieren, abzustimmen. Gelingt dies, gibt es Chancen für Veränderungen.
Schon wenige Prozente der Bevölkerung auf der Straße, bei einer Massendemonstration oder in einer koordinierten Verweigerung der Kooperation, können ausreichen, um ein Regime ins Wanken zu bringen – so besagt es die 3,5-Prozent-Regel nach Erica Chenoweth. Allerdings übernehmen am Ende häufig Palast-Insider die Macht. Das untermauert Dirsus’ Kernpunkt: Die größte Gefahr für Diktatoren lauert im eigenen Zirkel.
Ein paradoxes Fazit: Im Alltag wirken Diktaturen oft stabiler als Demokratien – Kritik wird unterdrückt, Wahlen sind eine Farce –, doch langfristig fehlt ihnen die Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Alternde Potentaten können Loyalität über ihren Tod hinaus nicht sichern; wer einen Nachfolger aufbaut und dabei den Druck mindert, „verbrennt sich häufig die Finger“. Demokratische Systeme mit geregeltem Machtwechsel sind letztlich widerstandsfähiger.
Für sein Buch erhält Marcel Dirsus viel Beachtung und auch Lob: Die FAZ preist es als „gut lesbare, unkonventionelle Einführung in die Diktaturforschung“, der Economist zählt Dirsus’ Studie zu den Büchern des Jahres. Doch es gibt auch Kritik: So scherzte der Guardian, Dirsus’ Blaupause tauge auch als Handbuch für Despoten, während das Parlament eine Antwort auf die Frage vermisst: Wie und warum kippen Demokratien ins Autoritäre? Dass der Autor die Auswirkungen der wiederbelebten MAGA-Bewegung nicht auf dem Radar hatte, zeigt sich auch daran, dass er die achtjährige Amtszeit des US-Präsidenten als wirksames Mittel gegen diktatorische Ermächtigungen anführt. Oder ist er sich da noch sicher?
Insgesamt ist „Wie Diktatoren stürzen“ ein lehrreiches, durchaus unterhaltsames Buch im pointierten Stil. Es liefert kein Patentrezept gegen Tyrannen, aber viele erhellende, klärende Einsichten. Mut kann aus der Erkenntnis entstehen, dass selbst brutale Regime letztlich auf brüchigen Fundamenten stehen. Man möchte das Werk fast jedem Autokraten in die Hand drücken, um ihm zu zeigen, wie dünn das Eis unter ihm ist. Allerdings kann auch Wissen in falschen Händen – ebenso wie Macht – genau das Nichtgewollte bewirken.
ta