The Shards
Bret Easton Ellis
736 Seiten
Gebundene Ausgabe: 28,00 €
Roman
Kiepenheuer & Witsch
Bret Easton Ellis zählt wohl zu den sogenannten Kultautoren unseres Planeten. Die Nähe zur Popkultur, der Hang zu detailliert dargestellten Obsessionen, das Spiel mit Schocks – alles das bringt Ellis seit fast vierzig Jahren zu Papier. Kontinuierlich, bildgewaltig und erfolgreich. Allerdings auch wohldosiert. Gerade einmal neun literarische Werke hat der US-Amerikaner seit 1984 veröffentlicht.
Mit The Shards (Die Scherben) macht Bret Easton Ellis inhaltlich in jenem Jahrzehnt weiter, in dem er selbst zum Erwachsenen heranreifte und seinen Kultstatus als Autor begründete: die Achtziger.
1985, mit 21 Jahren, verfasste er den Roman Unter Null, dessen Verfilmung (mit Andrew McCarthy, Jami Gertz, Robert Downey Jr. und James Spader) den ernüchternden Gegenentwurf zu den damals so angesagten und selbstverliebten Brat-Pack-Filmen bot.
Anfang der Neunziger folgte dann sein Meisterstück American Psycho. Ellis lässt in diesem (lange Zeit als nicht verfilmbar geltenden) Roman den narzisstischen Soziopathen Patrick Bateman mit diversen Mordinstrumenten auf die Menschheit los – vorwiegend auf den weiblichen Teil davon. Aus Langeweile und Verachtung mordet sich der Wallstreet-Yuppie Bateman durch das New York der ausklingenden 1980er-Jahre. Außer der manischen eigenen Körperoptimierung, dem extravaganten Sex, dem Luxus und dem Töten gibt es nichts, was den 27-jährige Bateman noch irgendwie zufriedenstellen vermag. Ein schmerzhafter Seitenhieb auf den zunehmenden Materialismus, die Abgestumpftheit und die Maßlosigkeit der Gesellschaft …
Abgestumpftheit als Attitüde
Ganz so weit wie Patrick Bateman sind die verwöhnten Kids aus The Shards noch nicht. Doch die Abgestumpftheit nimmt auch in ihrem Leben eine bedeutende Rolle ein. Sie wird in The Shards sogar als Attitüde kultiviert und von den vermeintlich coolen Leuten bewusst nach außen getragen.
Der junge Bret (Easton Ellis) ist einer dieser Kids. Wie seine besten Freundinnen und Freunde auch, so lebt der Siebzehnjährige wohlbehütet in einem der Nobelviertel von Los Angeles. Es ist das Jahr 1981: Brets Eltern sind auf einer viermonatigen Europareise unterwegs und das Leben zeigt sich dem Teenager in jedem Wortsinn von der sonnigen Seite.
Auf der Privatschule genießt er zahlreiche Freiheiten und Vorzüge, da er die privilegierte Abschlussklasse besucht und sich zudem zu den Reichsten und Schönsten der ohnehin schon elitären Buckley School zählen darf. Darüber hinaus hat Bret mit Debbie das zweithübscheste Mädchen der Schule an seiner Seite …
Das süße Leben der reichen Jugendlichen besteht vor allem aus Poolpartys, Drogen- und Betäubungsmittelkonsum sowie Sex. Unterstützt wird ihre Leichtigkeit des Seins von ihren superreichen Eltern (und den Hausangestellten), untermalt wird es von den Filmen, Schallplatten und Kassetten-Mixtapes jener Zeit.
Allerdings gerät das scheinbar sorglose Leben der dauersedierten Jugendlichen schon bald in Gefahr. Und Bret ist der erste, der diese Gefahr bemerkt.
Unheil bahnt sich an
Ein Serienmörder namens The Trawler geht nämlich in Kalifornien um. Und sein Wirkungskreis kommt dem der Buckley-Clique immer näher. Außerdem erhält der Abschlussjahrgang der Eliteschule einen neuen Schüler, der das harmonische Gefüge des Freundeskreises durcheinanderbringen könnte. Zumal Robert Mallory nicht nur auffallend gut aussieht, sondern sich in Brets Wahrnehmung auch äußerst sonderbar verhält. So bestreitet Robert vehement eine zufällige Begegnung mit Robert, an die sich dieser allerdings äußerst gut erinnern kann. Zudem gibt sich Robert deutlich anders, wenn er mit Bret allein ist. Und dann sind da auch noch die Informationen, die über die Vergangenheit des Neuen nach und nach durchsickern. Die Leichtigkeit in Brets Leben weicht der Angst, dem Misstrauen und der Vorahnung. Eine sich immer schneller drehende Spirale setzt sich in seiner Gedankenwelt in Gang. Und es geschehen weitere Morde …
The Shards ist ein wildes Vergnügen auf 736 Seiten. Die Abgründe, die sich hinter den perfekten Fassaden der reichen Kids verbergen, beschreibt Bret Easton Ellis mit ungeheurer Präzision und Leidenschaft. Als Leser wünscht man es dem Autor inständig, dass mehr Fantasie und weniger Realität in der Autofiktion des Ich-Erzähler Bret steckt. Immerhin: Von einem Serienmörder, der Anfang der Achtziger von der Polizei als The Trawler bezeichnet wurde, ist nichts bekannt.
Was sich neben dem kurzweiligen Lesegenuss zusätzlich sehr empfiehlt, ist die musikalische Zeitreise in das Jahr 1982. Über die Playlist The Shards lässt sich ein außergewöhnliches Musikjahr zurückholen und neu erleben. Mit sowohl unvergessenen als auch längst vergessenen großartigen Songs wie Vienna von Ultravox, Our Lips Are Sealed von The Go-Go’s und Total Control von The Motels. Auch das ein Genuss.
Rainer Tautz
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