Es gab Zeiten in Bad Salzuflen, da ging man nach dem Diskotheken-Besuch noch auf ein letztes Bier ins Kino nach Schötmar. Denn fast an jedem Wochenende lief in der Leinwand selbst um drei oder um vier Uhr nachts noch irgendein alter Clint-Eastwood-Western oder einer der bis dato existierenden drei Krieg-der-Sterne-Filme, die heute als Star Wars Episode IV, V oder VI bezeichnet werden. Der letzte Betreiber der Leinwand war Stefan Koch – wir haben ihn besucht und gemeinsam mit ihm wehmütig in alten Zeiten geschwelgt.
Hallo Stefan, als du 1992 die Leinwand übernommen hattest, lagen die besten Zeiten schon hinter dem Kino, oder?
Naja, für ein Kino wie die Leinwand wurde es bereits einige Jahre zuvor sehr schwierig. Die riesigen Kinokomplexe schossen zu der Zeit wie Pilze aus dem Boden und kleinere Häuser mussten zusehen, dass sie von den Verleihern überhaupt mit Kopien aktueller Filme bedient wurden. Das hatten auch schon die Kinobetreiber gemerkt, die vor meiner Zeit mit der Leinwand in Schötmar, der Filmwelt in Detmold und dem Sunset in Lage Schiffbruch erlitten hatten.
Hatte die neue Leinwand dann überhaupt eine Chance?
Ich glaube schon. Und das haben meine damalige Freundin, Cornelia Engler, und ich ja auch bewiesen. Wir haben aus dem reinen Programmkino ein FilmKunstTheater gemacht – also ein Haus mit Film, Kunst und Theater.
Und das hat funktioniert?
Zum Teil sogar sehr gut. Wir haben mit vielen Kulturschaffenden zusammengearbeitet und großartige Unterstützung erhalten. Viele Bands sind bei uns aufgetreten – manchmal sogar ohne Gage, weil sie an die Leinwand und an unsere Idee glaubten. So gab es zu unserer Eröffnung am 3. Oktober 1992 nicht nur den Film Der schöne Badetag, sondern auch ein Konzert von Dajana Loves Paisley. Damals hatten die Jungs gerade ihr Album Welcome to the Rock ’n‘ Roll Circus herausgebracht. Viele Bands sind uns in den zwei Jahren, in denen wir das Kino geführt haben, treu geblieben. Zur Abschiedsparty im Juli ’94 sind sogar vier Bands ohne Gage aufgetreten – eine ist extra aus Stuttgart angereist.
Dennoch wolltet ihr doch hauptsächlich Kino machen …
Richtig, aber auch auf diesem Gebiet waren wir auf dem richtigen Weg. Von der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen sind wir zweimal für unser „herausragendes Filmprogramm” ausgezeichnet worden. Die Urkunden vom heutigen Berlinale-Chef Dieter Kosslick habe ich natürlich noch. Wir haben in der Woche anspruchsvolle Filme gezeigt und am Wochenende oft verrückte Themennächte gefeiert.
Kannst du dich noch gut an einige erinnern?
An alle. Veranstaltungen wie die Lange Kannibalen-Nacht, in der wir zwischen den Filmen Eat the Rich und Delicatessen eine Suppe aus einem Sarg serviert haben, vergisst du genauso wenig wie das Lagerfeuer nach dem Kevin-Costner-Film Der mit dem Wolf tanzt. Auch an die Heiligabende in der Leinwand denke ich immer wieder und immer noch gern zurück. Ein Kinosaal voller verkleideter Verrückter, die jede Szene von Flash Gordon, Blues Brothers und der Rocky Horror Picture Show mitspielen können – noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Eine schöne Zeit, die allerdings dann doch recht schnell und abrupt vorbei war.
Leider ja. Obwohl wir viele Freunde, noch mehr Helfer, ein unglaubliches Publikum und unfassbar engagierte Mitarbeiter hatten, stand das Projekt Leinwand finanziell immer auf wackeligen Füßen. Als der Inhaber des Gebäudekomplexes starb und somit seine Immobilien an der Oerlinghauser und Asper Straße an eine Erbengemeinschaft fielen, gab es für uns nur zwei Alternativen: Kaufen oder aufhören. Und da die Leinwand nie wirklich Geld abgeworfen hatte, und wir demzufolge auch kein Eigenkapital für den Kauf und die dringend erforderliche Renovierung des Gebäudes hatten, mussten wir am 9. Juli 1994 den Schlüssel endgültig umdrehen. Schade.
Hat es dich nie wieder gereizt, in einem Kino zu arbeiten? Schließlich warst du bereits vor 1992 fünf Jahre lang als Vorführer in der Leinwand beschäftigt.
Das Ende unseres Kinos hatte Cornelia und mich sehr mitgenommen. Doch tatsächlich hatte sich bereits kurze Zeit später eine Möglichkeit ergeben, in einem neuen, modernen Kino zu arbeiten. Allerdings wäre es nicht dasselbe wie die Leinwand gewesen. Ich habe mich dagegen entschieden und bin heute nur noch Kinogast.